Alpenseminar Murnau 2018
Es ist immer wieder spannend, aus welcher Richtung sich die Referenten bei ihren Schulungen dem jeweiligen DTV-Jahresthema nähern. „Der kleine Unterschied“ ist das Thema des Jahres 2018 und beherrschte auch die fachlichen Lectures beim Alpenseminar in Murnau. Und die Referenten haben tatsächlich sehr verschiedene Zugänge zu diesem Thema gefunden: physiologisch, im qualitativen oder aber auch im zeitlichen Vergleich.
Fachliche Einheiten
Wie im letzten Jahr eröffnete auch heuer die Standardfraktion das Schulungswochenende. Im Großen Saal referierte Andrea Grabner über den kleinen Unterschied aus der qualitativen Sicht.
Den roten Faden, der sich durch ihre Lectures zog, erklärte Andrea Grabner zu Beginn so:
Wenn man sich ein großes Turnier wie z.B. GOC anschaut, sieht man auf der Fläche Paare, die austrainiert, sportlich und voller Energie los tanzen. Im ersten Moment sehen alle ähnlich aus und man hat möglicherweise Schwierigkeit zu differenzieren. Aber auch bei diesen Paaren gibt es den kleinen Unterschied, nämlich die Qualität hinter der Geschwindigkeit, den Shapes und der Dynamik zu entdecken. Und diese kleinen Unterschiede, an denen man als Trainer und/oder Wertungsrichter die Qualität des Paares erkennen kann, hat Andrea Grabner in ihren Lectures systematisch erarbeitet. Beginnend mit der Aufstellung und Haltung über den Beginn einer Bewegung bis in den Bewegungsfluss hinein. Alles, was zunächst theoretisch erläutert und mithilfe des Demo-Herren präsentiert wurde, durften die Teilnehmer natürlich auch praktisch üben, um die Unterschiede mit dem eigenen Körper zu erspüren.
Überhaupt war bei den meisten Referenten an diesem Wochenende die Devise: „Mitmachen und am eigenen Körper spüren.“
Diese Vorgehensweise gehört auch zum Markenzeichen von Annne-Lore Zimmermann. Die Teilnehmer ihrer Lehrgänge wissen es schon und nehmen jedes Jahr sehr gerne die Möglichkeit wahr, unter einer professionellen Anleitung in den eigenen Körper hineinzuhorchen.
Bei der Überlegung, welcher kleine Unterschied im Körper den größten Unterschied in der Leichtigkeit und Eleganz der Tanzhaltung und Tanzbewegung ausmacht, entschied sich die Referentin für das Becken. Seine Stellung und kleinste Bewegungen haben große Auswirkungen. Ein wichtiges und sehr umfangreiches Thema, das Anne-Lore Zimmermann über mehrere Einheiten strukturiert anging.
Nachdem am Freitagnachmittag aus Krankheitsgründen der Hauptreferent für Standard, der Landestrainer Sven Traut, kurzfristig ausfiel, übernahm Anne-Lore Zimmermann dankenswerterweise eine seiner Lectures am Sonntag und begeisterte auch hier nicht nur die Teilnehmer, sondern auch die Demo-Paare Anton Skuratov/Alona Uehlin und Victor Fischer/Alexandra Rehn mit ihrem Wissen und ihrem besonderen Zugang.
Die zweite Standardlecture am Sonntag übernahm der Grandseigneur des Standard-Tanzens Herbert Stuber mit seiner Frau Uschi Stuber. Er entwickelte dabei seine Idee vom „kleinen Unterschied“ – die er bereits am Freitag darstellte – weiter, nämlich aus der historischen Perspektive. Den Unterschied zwischen Mann und Frau im Tanzen, der früher deutlich größer war und mit der Entwicklung des Tanzsports nicht nur klein geworden ist, sondern immer kleiner wird. Er zeichnete auf, wie die Emanzipation der Frau im Tanzsport sich auf die Art des Tanzens auswirkte und immer noch auswirkt. Das geht bis zu einer anderen technischen Umsetzung einzelner Figuren. Dies durften die Teilnehmer auch praktisch ausprobieren und erlebten dabei eine Menge „Aha-Effekte“.
Und die Aussage, die ihnen Herbert Stuber, Verfechter des Analogie-Unterrichts mitgegeben hatte, wiederholten sie in nachfolgenden Gesprächen wie ein Mantra: „Besser ein Tipp für zwanzig Figuren, als zwanzig Tipps für eine Figur.“
Am Samstag früh reisten Tänzer, Wertungsrichter und Trainer im Nieselregen nach Murnau an, um sich in Manuela Fallers Lecture zum Jahresthema des kleinen Unterschieds fortzubilden.
Zu Beginn forderte Manuela Faller alle Teilnehmer auf, gemeinsam zu erarbeiten, worin sie den kleinen Unterschied in Bezug auf Qualität des Tanzpaares sehen. Hier fielen Stichworte wie Paarharmonie, Bewegungsqualität, Musikalität, Kondition…
In den nachfolgenden Lectures des Wochenendes bearbeitete die Referentin diese Themenbereiche und erläuterte sie an Beispielen einzelner Tänze.
Als Demonstrationspaar hat Manuela Faller Pauline Staiber und Christian Holweg mitgebracht. Christian Holweg war bereits Deutscher Meister über 10 Tänze bei den Junioren und startet nun mit Pauline Staiber in der Jugend. Zu Beginn tanzten sie eine Rumba und zogen alle Teilnehmer mit Ihrem Können in ihren Bann.
Manuela Faller sensibilisierte die Trainer und Wertungsrichter für die wahre tänzerische Qualität, übte mit ihren Teilnehmern das Zusammenspiel von Wirbelsäule, Schultern, Becken und Armen in den Gewichtsverlagerungen und bezog sich immer wieder auf die zu Beginn von den Teilnehmern gewünschten Themenbereiche.
In den Lectures 2-4 am Samstag und Sonntag nachmittags waren dann analog Chacha, Samba und Jive dran. Vor allem am Sonntagnachmittag, wenn nach zwei Tagen intensiver Schulungen die Teilnehmer müde und immer schwieriger zur Mitarbeit zu motivieren sind, schaffte es Manuela Faller dank ihrer Energie und ihrem Witz auch den letzten zu überzeugen auf die Tanzfläche zu kommen und Kicks im Jive zu üben. Standing ovations waren ihr und dem Demo-Paar für diese tolle Leistung sicher.
Zwei fachliche Einheiten am Samstagnachmittag waren nach der krankheitsbedingten Absage von Sven Traut noch vakant. Dem Lehrwart des LTVB Ingo Körber gelang es jedoch mit Kerstin Stettner einen tollen Ersatz zu finden. Ohne Vorbereitungszeit hatte die Trainerin A und Wertungsrichterin S mit den Demonstrationspaaren Victor Fischer/Alexandra Rehn und Anton Skuratov/Alona Uehlin zwei hoch interessante Einheiten „aus dem Ärmel geschüttelt“.
Ein Thema war die Balance. Diese unterteilt sich bekannterweise in Paar- und Eigenbalance. Kerstin Stettner hob das selbstständige Stehen der Dame besonders hervor, vor allem auch in den Posen, in welchen die Demo-Herren ihre Damen „stehen ließen“, sich aus der Paarhaltung lösten und dann wieder in dieser zurückkehrten, ohne dass die Damen ihre Eigenbalance verloren. Ein sehr beeindruckendes Erlebnis für die Teilnehmer.
Kerstin Stettner brachte es treffend auf den Punkt: „Im Turnier werden die Männer bewertet, doch die Damen machen in der Wertung den kleinen Unterschied.“
Die Qualität der Dame ist von unsagbarem Wert. Denn die Dame folgt mit ihren Bewegungen der Führung des Herrn, sie muss aber auch ihre eigenen Aufgaben kennen, und trotzdem blitzschnell auf Veränderungen reagieren. Daneben gibt sie von ihrer Eigenbalance sehr viel an die Paarbalance ab, mehr als der Herr.
Mit bewusst falsch getanzten Aktionen durch die Demo-Paare unterstrich Kerstin Stettner die Unterschiede. Zu guter Letzt wurden die Teilnehmer aktiv gefordert mit interessanten Übungen für mehr Körperbeherrschung und -koordination. Mit langanhaltendem Applaus und standing ovations bedankten sich die Teilnehmer bei der Referentin und ihren hochklassigen Demo-Paaren, die mit ihrer Perfektion zum guten Gelingen beitrugen.
Überfachliche Einheiten
Für überfachliche Einheiten verließ man sich beim Alpenseminar auf bewährte Referenten, die Garanten für hohe Qualität der Lectures sind.
Pedro Rodriguez referierte an zwei Tagen über die Unterrichtsmethodik in Standard und Latein. Dabei stützte er sich auf drei T´s, die zur Qualität des Unterrichts beitragen.
Das erste T ist der TRAINER selbst. Umgangsformen, Kommunikation, aktives Zuhören, Sprache und dazu passende Körpersprache, positive Stärkung durch Lob, also viele Möglichkeiten den Unterricht positiv zu gestalten und so auch entsprechende Ergebnisse herbeizuführen.
Das zweite T ist das THEMA des Unterrichts. Hier behandelte Pedro Rodriguez das Wie (Pädagogik) und das Was (Didaktik). In den „13 Regeln der Lernbiologie“ erarbeitete er mit den Teilnehmern, die sich aufmerksam und aktiv beteiligten, die einzelnen Bausteine, die für den guten Unterricht notwendig sind.
Das dritte T sind dann die TÄNZER selbst. Warum kommen sie, was erwarten sie und was erfolgt daraus für den Trainer und seine Methodik.
Viele Tipps und Tricks aus seinem reichen Erfahrungsschatz werden die anwesenden Trainer sicher auch in der Zukunft begleiten.
Fast wie abgesprochen war passend dazu „Motivation im Sport“ das diesjährige Thema der überfachlichen Einheiten des LTVB-Präsidenten und Individualpsychologen Rudolf Meindl. Auch hier war die positive Motivation ein wichtiges Thema. Verbunden mit psychologischen Erkenntnissen erfuhren die Teilnehmer, wie sie als Trainer „aus ihren Paaren das Meiste herausholen“, ihnen die Angst und Nervosität nehmen. Begrifflichkeiten wie Erfolgserwartung, Misserfolgsangst, Selbstwirksamkeitserwartung wurden an konkreten Beispielen erklärt. Einerseits betonte Rudolf Meindl, welchen Einfluss die Trainer auf die Erfolgs- bzw. Misserfolgserwartungen ihrer Sportler/innen haben, anderseits wies er auf die Grenzen dieser Methoden hin. Denn bestimmte Muster im Denken und Unterbewusstsein lassen sich nicht so einfach durchbrechen oder verändern. Damit entlastete er die Trainer wiederum ein stückweit in ihrer Verantwortung für die Paare.
Beim „Training mit jungen Paaren“ wurde Manuela Faller von Jugendtrainern mehrerer bayerischer Vereine unterstützt. Illya Korovay, Antonia Petritzikis, Tanja Kuschill und Christian Grziwok brachten als Demo-Paare Kinder- und Jugendpaare aus ihren Vereinen mit.
Gestartet wurde mit einem Warmup, der die komplette Muskulatur wärmt und lockert. Die teilnehmenden Trainer waren zu dieser morgendlichen Stunde sehr froh und dankbar, dass sie diesen Anstrengungen als Zuschauer folgen durften. Nur ein Mädchen in den Zuschauerreihen hatte an diesem Morgen bereits die Energie, sich aktiv an den Übungen zu beteiligen. Es folgten Übungen für Kräftigung, Stabilität und Balance.
Die Jugendtrainer zeigten auf, wie man die Terminologie beim Techniktraining herunter bricht, damit die Kinder den Ausführungen folgen können und mit welchen Bildern und Vergleichen sie dabei arbeiten. Eine ausführliche Frage-Antwort-Runde beendete diese Lecture.
Der Sonntagmorgen gehörte überfachlich auch dem Thema Tanzmusik. Burkhard Hans, seines Zeichens einer der erfahrensten Turnier-DJs, präsentierte und diskutierte mit den Teilnehmern aktuelle Entwicklungen im Bereich Turniermusik. An der belebten Diskussion über Themen wie beispielsweise Elektrotango wurde dabei deutlich, dass Turniermusik oft sehr unterschiedlich wahrgenommen wird.
Als besonderes Highlight stellte Burkhard Hans zum Abschluss noch ein paar seiner persönlichen Favoriten vor und zeigte, wie man durch Variation von Lautstärke und Höhen bzw. Tiefen, der Musik noch etwas mehr Ausdruck verleihen kann.
In freudiger Erwartung strömen jedes Jahr die Teilnehmer zu den überfachlichen Lectures von Michael Braun und Ingo Körber. Sind doch die beiden nicht nur fachlich sehr versiert, sondern auch als Entertainer bekannt, in deren Lectures es nicht langweilig wird.
Das Thema „Entscheidungen“ schrieb sich Ingo Körber in diesem Jahr auf die Fahnen. Wie Entscheidungen gefällt werden, die Bedeutung des Unterbewusstseins und der Gefühle beim Treffen von Entscheidungen. Diese im Tanzsport vor allem für Wertungsrichter sehr wichtigen Themen wurden in seinen Einheiten behandelt. Aber auch eine Checkliste für die richtige Entscheidung mit 1. Analyse der Situation, 2. Informationssuche und -bewertung, 3. Strategie und 4. Ergebnisbewertung brachte den Teilnehmern viele neue Erkenntnisse für ihre weitere Tätigkeit.
LTVB-Landesjugendwart Michael Braun eröffnete mit Hinweisen für eine souveräne Turnierleitung. Danach ging es auch schon in medias res, genauer gesagt in die Untiefen der SAS Beschlüsse der letzten Jahre.
Aktive Mitarbeit war bei der Rubrik „Heute ist wohl nicht mein Tag!“ gefragt, bei der die Teilnehmer mit verschiedenen komplexen Situationen aus dem Leben des Turnierleiters konfrontiert wurden – und gemeinsam in der Gruppe eine TSO-konforme Lösung erarbeiteten. Mit dabei waren beispielsweise der Einsatz von Ersatzwertungsrichtern oder der Umgang mit Verdachtsmeldungen und Protesten.
Zum Abschluss wurden noch die aktuellen Änderungen der TSO, die ab 1.1.2019 gültig sein werden, besprochen und diskutiert, wobei vor allem die „Nachjustierungen“ im Bereich der Kleiderordnung sehr positiv aufgenommen wurden.
Sonntag um 16:45 bildete sich dann eine lange Schlange am Check-out. Namensschilder abgeben, Einheiten eintragen lassen und dann tschüss bis zum nächsten Jahr…
Mila Scibor, Bea Kobras, Dr. Markus Mühlbacher